Tanja Ostojić: Die transformative Macht der emanzipatorischen feministischen Kunst
Die Künstlerin Tanja Ostojić, erkennbar an ihrer feministischen emanzipatorischen künstlerischen Praxis, spricht im Interview mit SEEcult.org über das langjährige künstlerische Projekt „Mis(s)placed Women?“, über die Bedeutung von Kollaborativität in der Kunst, über die Wichtigkeit des öffentlichen Diskurses über sexuelle und andere Formen der Gewalt gegen Frauen sowie über das transformative Potential der Kunst in Richtung von Veränderungen der Machtverhältnisse. Tanja Ostojić nimmt ebenfalls Bedacht auf die Folgen der Pandemie für das Schaffen von Künstlern sowie auf Maßnahmen der Kulturpolitik in Berlin, wo sie lebt und arbeitet, aber auch in Serbien, wo sie durch unterschiedliche Ausstellungs- und Branchenaktivitäten ebenfalls häufig anwesend ist.
Mis(s)placed Women?, performance, Belgrade, photo: SEEcult
Tanja Ostojić widmet sich Themen wie Migration, Genderdemokratie, Feminismus, Gentrifizierung, Verhältnisse zwischen Macht und Verletzlichkeit, ganz besonders im Kontext von Frauen- und Transgenderkörpern, und ist der Meinung, dass Fragen in Bezug auf Bewegungsfreiheit und Gefährdung von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen durch die Pandemie und durch damit verbundene unterschiedliche neue Begrenzungen zusätzlich komplexer geworden sind.
„Häusliche Gewalt ist in einer Expansion, ganz besonders in Situationen, in denen beide Partner von zu Hause aus arbeiten. Ich habe bemerkt, dass die Zahl von obdachlosen Frauen aller Generationen angewachsen ist, die auf der Straße sitzen (oder umherlaufen) und darauf warten, ein Abendesssen und eine Übernachtungsmöglichkeit in einem Frauenzentrum zu bekommen ...“, gab Tanja Ostojić an und führte als Beispiel für eine zusätzliche Komplexisierung der Situation auch die Tatsache an, dass obdachlose Frauen in Berlin, die es immer noch nicht geimpft wurden, im Laufe des Tages nicht das Recht haben, sich in geschlossenen Räumlichkeiten aufzuwärmen.
In der kürzlich organisierten Ausstellung in der Gallerie Podrum des Kulturzentrums Belgrad stellte sie auch zwei Arbeiten von Teilnehmerinnen des Projektes „Mis(s)placed Women?“ vor, mit denen sie in der Vergangenheit wiederholt zusammen gearbeitet hat und die sie im Jahr 2020 dazu aufforderte, sich über die spezifische Situation zu äußern, in der sie sich während der Pandemie vorfanden. Eine von ihnen ist Tanya Ury, eine Künstlerin jüdischer Herkunft, die in Köln lebt, wegen ihres Alters und ihrer Krankheit nur selten ihre Wohnung allein verlassen konnte und deren Bewegungsmöglichkeiten wegen der Gefahr vor einer Infizierung noch begrenzter wurden. Sie schrieb ein visuelles Gedicht und konzeptuelles poetisches Epos „Liebe in der Zeit der Korona“, während Tan Tan, eine Performance- und Videokünstlerin der jüngeren Generation, die zu Beginn des Jahres 2020 nach Wuhan reiste, um mit ihren Eltern das Chinesische Neujahr zu verbringen, wegen dem Ausbruch der Pandemie zweieinhalb Monate in völliger Isolation verbrachte. Sie gibt Einsicht in ihr „Tagebuch während des Lockdowns in Wuhan“, indem sie mit dem Publikum sechs Gefühle teilt, die während dieser Monate in ihrem Leben vorherrschten - Panik, Anxiosität, Wut, Trauer, Depression und Erlösung, sowie einige der Photos, die sie jeden Tag vom Fenster des elterlichen Hauses mit Blick auf die Unversitätsklinik machte und die sie für ihre Videoarbeit „Misplaced Self in the Misplaced City“ verwendete.
Mis(s)placed Women?, performance, Belgrade, photo: SEEcult
Auf die Frage, inwiefern die Corona-Krise ihre professionellen Pläne beeinflusst hat – in Anbetracht der Tatsache, dass ihre künstlerische Praxis von Mobilität und Interaktion mit dem Publikum charakterisiert wird – gab Tanja Ostojić an, dass sich die Performances im Rahmen des Projektes „Mis(s)placed Women?“ seit dem Jahr 2009 fast ausschließlich in öffentlichem Raum, unter freiem Himmel entwickeln und vorgeführt werden, so dass in Bedingungen der Pandemie während des Jahres 2021 ihre Realisierung nicht gefährdet war.
„Da ich auf internationaler Ebene schaffe, ist Reisen erschwert und manchmal auch unmöglich. Deswegen haben wir uns manchmal auch der Zoom-Platform bedient, die sehr begrenzt ist und nicht eine lebendige Anwesenheit ersetzen kann“, fügte Tanja Ostojić hinzu und merkte an, dass alle ihre professionellen Pläne aus dem ersten Jahr der Pandemie, 2020, abgesagt oder verschoben wurden.
Was es deutsche Kulturpolitik in der Zeit der Pandemie betrifft, sagte sie, dass im Bundesland Berlin, in dem eine außerordentlich große Anzahl an internationalen Künstlern lebt und arbeitet, die Unterstützung bedeutend war, vor allem dank der Lobbyarbeit von künstlerischen Organisationen und der Solidarität der linksorientierten Regierung. „Der Bund bekundete sich erst im Jahr 2021 und bot an, einen minimalen Teil der finanziellen Last zu übernehmen“, fügte Tanja Ostojić hinzu und schätzte ein, dass sich die Situation auch mit dem neuesten Regierungswechsel nicht bedeutend ändern wird.
Die Situation in Serbien scheint ihr in dieser Hinsicht nicht so gut. „Den Mindestlohn, den diejenigen mit dem Status eines selbstständigen Künstlers während der Pandemie einige Male bekommen haben, muss man der Lobbyarbeit des Vereins bildender Künstler Serbiens und dem guten Willen der Regierung verdanken, sodass manche der Akteure der Kulturszene irgendwie diese schwierigen Zeiten überleben“, fügte Tanja Ostojić hinzu.
*Das ganze Interview (in serbischer Sprache) ist auf diesem Link zugänglich.
(SEEcult.org)
Gefördert mit Mitteln aus dem Internationalen Hilfsfonds für Organisationen in Kultur und Bildung 2021 des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland, des Goethe-Instituts und weiterer Partner, www.goethe.de/hilfsfonds