Rifat Rifatović: Die Lösung liegt in der Veränderung des Systems
Der Schauspieler des Regionalen Theaters Novi Pazar Rifat Rifatović ist der Meinung, dass man über die Pandemie des Corona-Virus zwei Jahre später nicht aus der Position einers Siegers oder Verlieres sprechen kann, sondern dass es an uns allen liegt, verantwortungsvoll zu sein. „Das fordert von uns die Erinnerung an all diejenigen, die gestorben sind. Ihre Totenscheine mussten für die Menschen ein Zeichen sein, dass dass, womit wir leben, kein Spiel ist“, führte Rifatović im Interview für SEEcult.org an, in dem er in besonderem Maße auf die dramatische Situation hinwies, in der sich Novi Pazar wegen der Pandemie befand, dies aber außerhalb des Fokus der größten Medien blieb. Hilfe kam vor allem von Ärzten aus Kragujevac und Sarajewo, aber auch in der Form von Beiträgen aus der Diaspora.
„Seit dem Lockdown habe ich eingesehen, dass wir uns an ein Leben unter diesen Bedingungen gewöhnen müssen … Ich glaube an die Medizin, viel mehr als an Menschen, und ich warte darauf, was die Medizin zu sagen hat. Darin sehe ich, bedingt gesagt, den Schlüssel für einen Sieg, auch wenn es keinen Sieg gibt, wenn auch nur ein Menschenleben verloren wurde. Auf der anderen Seite – oder auf der gleichen Seite – ist unsere persönliche Verantwortung in der Pandemie etwas, wofür wir selbst zuständig sind“, sagte Rifatović.
Seinen Worten nach ließ er es vom Anfang der Pandemie nicht zu, dass negative Dinge seine Arbeit beeinflussen.
Auf Initiative von Rifatović wurde das Außerordentliche Theater bewegt, ein Online-Theater, dass Schauspieler aus mehreren Städten zusammenbrachte. Der Pandemie ist es zu verdanken, dass sie die Gelegenheit hatten, etwas Interessantes und Beachtungswürdiges auch außerhalb der großen Zentren, wie Belgrad oder Novi Sad, zu zeigen.
„Es hat sich herausgestellt, dass es sozusagen das erste Theater dieser Art auf der Welt war. Wegen dem Ausnahmezustand wurden wir zum Außerordentlichen Theater. Wir hatten Proben wie im Theater, die aber häufig länger als die Proben im Theater dauerten. In zwei Monaten hatten wir mehrere Premieren. Unser Konzept war, Aufführungen in realer Zeit zu spielen bzw. dass sich das Publikum um 20.00 Uhr auf den YouTube-Kanal schaltet und die Vorführung fünf Minuten später beginnt. Um 21.10 war die Vorführung zu Ende, wir verneigten uns und der Kanal wurde ausgeschaltet“, führte Rifatović an.
Rifat Rifatović & Anđela Marić, If You Gaze Long into an Abyss
Rifatović betont, dass er Befürworter von Impfungen und aller Schutzmaßnahmen ist.
„Das ist der klassische Weg zur Heilung von dieser ganzen Situation. Wenn wir zurück gehen, werden wir uns daran erinnern, dass es auch bei der Impfung gegen die Grippe, sowie im Fall des Corona-Virus, Zweifelhaftigkeit gab. Ich hoffe, dass die Menschen zu sich kommen und sich selber gegenüber verantwortlich werden. Ich ermuntere Menschen, sich impfen zu lassen“, sagte er.
In Anbetracht der Tatsache, dass in Serbien nur das Publikum in Novi Pazar den preisgekrönten Film „Quo vadis, Aida?“ der Regisseurin Jasmila Žbanić aus Sarajevo sehen konnte, der die Thematik von Srebrenica aufgreift, betonte Rifatović, das der Kampf gegen die Dämonen der Vergangenheit endlich gelöst werden muss.
„Wir sind nicht der einzige Raum, wo dies gelöst werden muss. Wir haben Beispiele aus nicht so weiter Vergangenheit, als Deutschland seine Fehler aus der Zeit des Faschismus bezahlen musste. Wir könnten bestimmte Dinge abschreiben und in diesem Sinne wäre es gut, „Quo vadis, Aida?“ zu sehen. Ich habe auch „Dara aus Jasenovac“ (des Regisseurs Predrag Gaga Antonijević, serbischer Kandidat für den Oskar) gesehen. Als diese zwei Filme auf den Markt kamen, wurde so ein Medienzirkus um sie herum organisiert. Beide Filme sind wichtig und zwar nicht um den Finger auf jemanden zu zeigen, weil er etwas gemacht hat oder um den Kopf wegzudrehen wegen etwas, das wir gemacht haben. Nein. Nötig ist Verantwortung für jegliches Verbrechen: ein toter Mensch ist ein toter Mensch – egal welchem Glauben, Kaste, Gesellschaftsstand, Religion oder Nation er angehört. Die Verantwortung jener, die gemordet haben, muss aber individualisert werden. Nicht alle Serben waren in Srebrenica und diejenigen, die dort waren, haben Namen.
Nicht alle sind Ratko Mladić, es gibt auch solche, die Srđan Aleksić sind. Es stellt sich nur die Frage, was wir promovieren möchten. Das schuldet uns der öffentliche Service und die Politik, sich auf diese Weise mit einer Lösung zu beschäftigen. Film ist ein sehr gutes Mittel im Kampf gegen Irrtümer. Jasmilas Film hätte blutig sein können, aber sie und das Team, angeführt von der glänzenden Jasna Đuričić, hatten sich zu einem Film ohne Blut entschlossen, auch wenn dort über 8.000 Menschen ermordet wurden. Deswegen erinnert mich „Quo vadis, Aida?“ an das Meisterwerk von Roberto Begigni „Das Leben ist schön“, sagte Rifatović, Empfänger des Sterija-Preises für seine Rolle in dem Stück „Wenn du lange in den Abgrund schaust“ in der Regie von Zlatko Paković, das von dem gleichnamigen Werk von Enes Halilović inspiriert wurde und erschütternd von dem Schmerz eines kleinen Mannes erzählt, der in den Krallen der großen Politik eingefangen ist.
„Es tut mir leid, dass das System so konzipiert ist, dass – wie Rambo Amadeus es sagen würde – es mit den billigsten Dingen wie Nationalismus operiert, dass Glaubens- und Religionsunterschiede missbraucht werden, um den einfachen Menschen die Augen zu verschmieren. Das System braucht eine essentielle Veränderung. Wir müssen von den kleinen Dingen ausgehen, zu denjenigen Werten zurückkehren, die während meiner Schulzeit gültig waren. Ich erinnere mich aus jener Zeit, das zum Beispiel die größten Fernsehpersönlichkeiten große Schauspieler, Sänger, große Künstler waren, die wahrhaftig Persönlichkeiten darstellten. Jetzt sehen wir im Fernsehen Gestalten, die unter der Ebene der Mittelmäßigkeit stehen. Das System hat zum Verfall aller Werte geführt. Dabei wird alles so eingepackt, dass es über-modern und über-cool erscheint. Alles läuft auf die Estrade hinaus, es gibt keine Ästhetik und unsere Ethik ist plastisch. Die Lösung liegt in der Veränderung des Systems. Vielleicht sollten wir beginnen, uns einzeln zu verändern – jeder sollte seinen eigenen Kosmos in Ordnung bringen. Ich gebe mir Mühe, es mit meinem zu tun. In diesen Kosmos treten Menschen ein, manche treten auch aus, was im Leben normal ist. Ich gebe mir Mühe, die Guten für immer in meinem Kosmos zu behalten“, betonte Rifatović
*Das ganze Interview (in serbischer Sprache) ist auf diesem Link zugänglich.
(SEEcult.org)
Gefördert mit Mitteln aus dem Internationalen Hilfsfonds für Organisationen in Kultur und Bildung 2021 des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland, des Goethe-Instituts und weiterer Partner, www.goethe.de/hilfsfonds