Miroslav Miki Radonjić: Anpassung an gegebene Umstände
Der Direktor des Sterijino pozorje, Miroslav Miki Radonjić ist der Meinung, dass die Pandemie des Corona-Virus in besonders negativem Maße das Theater beeinflusst hat, das ohne die unmittelbare Interaktion zwischen den Schauspielern und dem Publikum nicht existiert. Der Versuch der Übertragung des Theaters in den Online-Raum ist seiner Meinung nach nur der Schein, dass das Theater auch weiterhin anwesend ist. Als die größte negative Folge der Pandemie sieht Radonjić den Weggang einer großen Anzahl von Dramakünstlern, was einen riesigen Verlust darstellt. Im Interview für SEEcult.org führt Radonjić ebenfalls an, das das Theaterpublikum, das er als den diszipliniertesten Teil der Bevölkerung sieht, sich im Kontext der neu entstandenen Umstände konsolidiert hat. Auch wenn er der Meinung ist, dass sich in jeder Krise die Prioritäten ändern, glaubt Radonjić, dass das Leben ohne Theater, Film, Literatur, Musik, Galerien, Museen unvollständig ist … Er hat aber den Eindruck, dass sich die Theater doch aufgerappelt haben, indem sie sich an Stanislavsky und seinen Rat hielten – „Passe dich an die gegebenen Umstände an!“
Was es die Theater-Trends in den beiden Pandemie-Jahren betrifft, bemerkt Radonjić, dass viele Dramatisierungen von Romanen erschienen sind, was vielleicht etwas darüber sagt, dass Künstler in schweren Zeiten zu großer Literatur zurückehren.
„Die Pandemie, die die moderne Welt aus den Angeln gehoben und uns gewarnt hat, dass die gesamte Menschheit auf gläsernen Beinen steht, hatte auf jeden Fall einen negativen Einfluss auf Kunst und Kultur, somit auch auf das Theater. Theater existiert nicht ohne unmittelbare Interaktion zwischen dem Schauspieler auf der Bühne und dem Zuschauer im Publikum, was Online-Vorführungen auf gesellschaftlichen und diversen Mediaplattformen am besten gezeigt haben. Die Theaterhäuser bemühten sich auf diese Weise auf die Tatsache hinzuweisen, dass sie trotz allem auch weiterhin existieren. Ihre wahrhaftige Bedeutung haben sie aber erst nach der Rückkehr des Publikums wieder gezeigt“, führte Radonjić an.
Während die Pandemie fortdauert, bemerkt Radonjić, dass sich die Theaterhäuser auf unterschiedlichen Wegen zurecht finden, um gegen die riesengroßen Probleme anzukämpfen, die aus dieser Situation hervorgehen.
„Wenn wir einen Blick auf Theaterästhetik, Poetik, Ausdruck, Beschäftigung mit bestimmten Themen werfen, sehen wir, dass unterschiedliche Erscheinungen anwesend sind, die aber in diesem Moment schwer auf rationelle Weise wahrzunehmen und auf objektiven theoretischen Grundlagen zu erklären sind.“
Da er Theaterereignisse in der ganzen Region, auf dem Raum des ehemaligen Jugolawiens, verfolgt, bemerkte Radonjić, dass es Texte und Aufführungen gab, die sich mit dem Thema der Pandemie befassten, auch wenn nicht im Übermaß, was nicht verwundert.
„Es ist keine Seltenheit in der Geschichte, dass sich Künstler Mühe gaben, die Flucht vor der Realität zu ergreifen, die sie umgab, in eskapistischer Umgebung universelle Themen zu finden und sich auf indirekte Weise über die Zeit und den Raum zu äußern, in dem sie existieren. Interessant ist, dass viele Dramatisierungen von Romanen erschienen sind, was vielleicht etwas zu der These beiträgt, dass Künstler in schweren Zeiten zur großen und bedeutenden Literatur zurückkehren“, fügte er hinzu.
Als Kommentar zur Kulturpolitik führt er an, dass es illusorisch ist, darüber zu sprechen, dass ein Land wahrhaftig an der Erhaltung der Grundwerte der Gemeinschaft – was Kunst und Kultur sicherlich sind – arbeitet und dabei aus dem Budget für diesen Zweck weniger als ein Prozent zur Verfügung stellt.
„Dieses Jahr haben haben wir endlich dieses magische eine Prozent überschritten, was nur die erste Treppenstufe zu einer spürbaren Verbesserung in diesem Bereich ist. Global gesehen verwandeln wir uns in eine Spektakel-Gesellschaft, promoviert werden sinnlose Reality-Programme, während Eliten-Kunst und -Kultur zu den Marginen geschoben werden. Das sagt viel über das eingestürzte Wertesystem, auf dem die moderne Zivilisationn gründet, deren Teil wir darstellen. Ich bin kein besonders großer Optimist und glaube kaum, dass der Mensch in baldiger Zeit einsehen wird, was ihn zu einem Angehörigen der menschlichen Spezies macht“, führte Radonjić an.
*The entire interview (in Serbian) can be found on this link.
Photo: private archive
(SEEcult.org)
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